Unternehmen scheitern nicht an volatilen Märkten, neuen Technologien oder komplexen IT-Systemen. Sie scheitern am Top-Management und an den Führungskräften. Sie scheitern zunehmend vorhersehbar, wenn man sich mit der Unternehmenskultur und den Spielen der informellen Netzwerke von Unternehmen beschäftigt.
"Es wurde eine Kultur gepflegt, in der Abweichungen und Fehlentwicklungen lieber verschwiegen als kommuniziert wurden", resümiert Heinrich Hiesinger, Vorstandschef von Thyssen-Krupp die Probleme seines Unternehmens.
Was er damit beschreibt, ist eine Kultur, in der das Management die ihm übertragene Verantwortung nicht annimmt. Statt dessen wird so getan, als sei alles in Ordnung. Bei Thyssen Krupp wurde vermutlich das gleiche Spiel gespielt wie bei vielen anderen Unternehmen mit vergleichbaren Koordinaten in vergleichbarer Situation: über einen längeren Zeitraum werden Probleme vernachlässigt, heiße Themen brennen einfach an. Die Folgen sind vielerorts verheerend – Thyssen-Krupp ist nur eines unter anderen anschaulichen Beispielen. Die Konsequenzen dieser Führungsnachlässigkeit tragen häufig die Mitarbeiter, die sich „am Ende der Nahrungskette" befinden – dort, wo in der Regel die größten Einsparpotentiale ermittelt werden, wenn das Unternehmensbudget knapp wird.
Das Management dagegen wird befördert, in andere Konzerntöchter vermittelt oder von Headhuntern schnell wieder am Markt untergebracht. Erfolgreiche und effizient arbeitende Manager sind schließlich allerorts gefragt. Für die Folgen ihrer zweifelhaften Augen-zu-und-durch-Mentalität werden sie in der Regel nicht zur Verantwortung gezogen. Deswegen stirbt diese Spezies von Überlebenskünstlern der deutschen Wirtschaft auch nicht aus – sehr zum Leidwesen engagierter Mitarbeiter und anderer Manager, die ziel- und lösungsorientiert für ihr Unternehmen kämpfen und zeigen, dass sie bereit sind, in vollem Umfang Verantwortung für die Folgen unternehmerischer Entscheidungen zu übernehmen und die entsprechenden Konsequenzen zu tragen.
Nicht selten bleiben die eigentlichen Potentiale und Talente solcher Mitarbeiter und Manager unentdeckt; die Ursache ist oftmals ein Mangel an Selbstdarstellung und unzureichende Netzwerkbildung. Zudem gehören die betreffenden Personen zu einer eher kritischen und somit „unbequemen“ Gruppe, die in der jeweiligen Unternehmensspitze deswegen wenig Wertschätzung erfährt. Doch genau hier liegt das Problem: dass Auseinandersetzungen für einen gemeinsamen (das Unternehmen betreffenden) Lernprozess geradezu notwendig sind, entzieht sich zunehmend dem Verständnis der Betroffenen in konfliktscheuen und politischen Kulturen. Ein geradezu umgekehrter Lernprozess findet statt.
Bei Thyssen-Krupp wurde der Fehler im System offensichtlich erkannt, in vielen Konzernen, Großunternehmen, aber auch im Mittelstand dagegen noch nicht.
Aller Voraussicht nach wird es noch viele Unternehmen ihre Existenz kosten, dass der Markt noch nicht wirklich einen neuen Managertyp nachfragt. Dieser neue Managertyp muss in der Lage sein, unternehmensgefährdende Strukturen zu erkennen und sein Unternehmen mit Distanz aus einer hohen Flughöhe schonungslos und kritisch zu betrachten.
Ein Manager dieses Typs sollte bereit sein, Fehler zu benennen, „den Finger in die Wunde zu legen“, wo es nötig ist Netzwerke der Macht zu zerschlagen und zugleich Mitarbeiter und Führung zu einem konstruktiven Dialog zugunsten der Überlebensfähigkeit des Unternehmens zusammenzuführen. Er sollte leidenschaftlich im Sinne des Unternehmens handeln und somit ein Vorbild sein.
Natürlich gibt es solche Manager, aber in der Praxis sind sie - die für die Sache kämpfen, mit ihren Mitarbeitern nach besten Lösungen suchen, Probleme wahrnehmen und beseitigen, die Verantwortung für ihr Tun und Unterlassen übernehmen - vom Aussterben bedroht.
Die Entwicklungen sind tragisch: Verlierer sind alljene, die nicht – wie die klassischen Karrieristen -
nach dem Peter-Prinzip die Hierarchieleitern immer weiter nach oben fallen.
Und das Schlimmste: der Erfolg der blinden Karrieristen macht Schule! So erleben wir in der Praxis, dass sich die Seilschaften, die sich nach persönlicher Macht und Einfluss sehnen, immer weiter ausbreiten.
Kungelei im großen und kleinen Stil, nur zu dem einen Zweck, persönliche Interessen durchzusetzen, gehören in vielen Unternehmen zur ungestraften Normalität.
"…dass wir jetzt sicher feststellen müssen, dass es in Teilen des Unternehmens - und wirklich nur in Teilen - einfach Seilschaften gegeben hat und nicht nach Unternehmenserfolg entschieden wurde. Dass unsere Mitarbeiter auch das Gefühl hatten: es ist besser loyal und ruhig zu sein und Probleme
nicht offensiv anzusprechen…"
Zitat aus Hiesingers Interview mit der ARD am 11.12.12
Vorstände und Geschäftsführung, selbst häufig Teil des Problems,
suchen zunehmend Rat, weil sie nicht mehr wissen, wem sie vertrauen können.
Mitarbeiter, die zusehen müssen, wie die Führung ihr Unternehmen ruiniert,
kippen nach der Wut häufig in die Resignation und sprechen ihre inneren
Kündigungen aus. Innere Kündigungen haben für Unternehmen katastrophale
Konsequenzen. Engagement, Begeisterung und Top-Leistungen bleiben aus. Leere
Augen und „Dienst-nach-Vorschrift“-Mentalität, machen jeden Marktvorteil zunichte.
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Hiesinger will eine neue Führungskultur etablieren, Zeichen hat er
bereits gesetzt und drei Vorstände entlassen. Bis sich ein echter Kulturwandel
im Unternehmen durchgesetzt hat – das heißt also beim Thyssen-Krupp-Beispiel: bis der unternehmerische Erfolg im Vordergrund steht - vergehen viele Jahre, in denen die verbleibenden Seilschaften erfahrungsgemäß immer wieder versuchen werden, die alte Kultur zurück zugewinnen.
Hiesinger kann sein Ziel erreichen, wenn er wirklich gute Leute findet: die bisher unentdeckten Talente.
Susanne Alwart, 45, ist als Beraterin für Changeprozesse tätig und bildet in ihrem Hamburger Weiterbildungsinstitut Führungskräfte und Berater zum Thema Changemanagement aus. www.alwart-team.de
Kontakt: 0177-5965432